Wachstum

Ich hatte einen Traum. Es ging um Wirtschaftswachstum.
Gute Menschen leben in einem schönen Land. Das Land besteht aus einem einzigen Berg. Der gleicht dem Matterhorn. Die Bewohner des schönen Landes müssen immer in Bewegung bleiben. Wer still steht, stirbt. Darum erklimmen diese Landsleute stetig, ruhig und langsam den Berg. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter wächst ihr wirtschaftlicher Wohlstand. Bisweilen müssen sie, um höher zu kommen, kurzfristig etwas absteigen. Verständlicherweise geschieht das Gegenteil, der Wohlstand verringert sich. Während Jahrzehnte steigen diese Geschöpfe gleichmässig immer höher. Sie werden immer reicher. Eines Tages sind sie oben angekommen. Der Berg hat keinen Gipfel. Zuoberst erreicht der Wanderer eine weite Hochebene. Die Bergbewohner können sich dort immer noch gut bewegen. Aber es gibt kein Wachstum mehr. Keine Zunahme des Reichtums mehr.
Das Plateau erlaubt eine wunderbare Weitsicht. In der Ferne entdecken sie einen noch höheren, noch schöneren Berg. Ganz am Fusse besteigt frohgemut ein anderes Volk in aller Ruhe den Höhenzug. Neues Wachstum in einem neuen Umfeld ist zu beobachten.

Ich drehe mich im Bette um. Mache ein Auge auf. Der Traum ist aus. Ich gehe ihn in Gedanken noch einmal durch.
Wären die Menschen auf dem ersten Hochland wohl bereit hinunter zu steigen, um ein neues unbekanntes Wirtschaftsfeld zu erobern? Der erste Berg stellt in hohem Grade die alte, bekannte, ziemlich verkrustete Volkswirtschaft von gestern dar. Der neue Berg hingegen bedeutet eine neue, durch einen kräftigen Strukturwandel aufgefrischte, viel versprechende Ökonomie. Sind die Leute bereit abzusteigen, auf ihr Erreichtes zu verzichten? Den Besitzstand auf zu geben? Gehen sie das Risiko ein, eine wohlvertraute Umwelt zu verlassen, etwas völlig Neues, Unbekanntes in Angriff zu nehmen? Sind sie wirklich empfänglich einen Abbau ihres Wohlstands in Kauf zu nehmen?
Sie müssen es fraglos tun, um neues Wachstum zu schaffen. Haben sie die Kraft dazu? Braucht es zu diesem Schritt Druck von aussen? Leidensdruck?

Dieser Traum scheint gar nicht so unwirklich. Wenn schwungvolles Wirtschaftswachstum wichtig ist, kommen wir nicht umhin Opfer zu bringen, um nach neuen Ufern aufzubrechen.

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