In der S-Bahn, während der Zeit der Europameisterschaften im Fussball, schnappte ich folgendes Gesprächsbruchstück auf:
»Yann Sommer ist ein irre cooler Typ. Er ist einfach der beste Goalkeeper! Einfach geil! Der chillt nie. Unheimlich krass. Voll easy! Holy oberaffengeil man.«
«So gehen wir mit unserer Sprache um! Wir schätzen unsere Sprache zu gering. Wir verhunzen sie. Wir höhlen sie aus. Wir lassen sie verarmen und verludern. Bald geben wir sie ganz auf!»
So höre ich meine Zeitgenossen schimpfen. «Wir», die Adressaten der Klage, das sind im Prinzip alle Menschen die Deutsch sprechen. In diesem Geheul mag ich nicht mitjammern.
Was ist denn da so schlimm?
In der Schule und auf der Strasse hatten meine Kameraden und ich zur Jugendzeit eine eigene Sprache. Genau so wie heute, war sie mit Modewörtern gespickt. »Elephantös, superhyperkatalytisch, phäno (statt phänomenal)“, um nur ein paar Sprachsplitter aus meiner Gymizeit zu erwähnen. Jede Sprache wandelt sich. Die Sprache lebt.
Sprache ist in erster Linie ein Kommunikationsmittel. Eine dem Menschen eigene Methode, sich verständlich zu machen. Ein Instrument von lebenden Menschen. Entsprechend ist die Sprache, wie der Mensch, quicklebendig. Sie wächst und sie verändert sich mit der Umgestaltung des sprechenden Menschen. Am Anfang, als der Mensch zu sprechen begann, bediente er sich weniger Wörter, dann kamen die einfachen Sätze. Es entstanden Dialekte aus denen die Muttersprache entspross. Aus der Muttersprache entwickelten sich immer mehr verschiedene neue Sprachen, die Fremdsprachen wie französisch, swahili oder chinesisch.
Sehr lange wurde die Sprache nur gesprochen. Schreiben und lesen kam sehr viel später zur Anwendung. Heute ist das nicht sehr anders. Es wird gesprochen. Gesprochen im Radio, gesprochen im Fernsehen. Gesprochen im Tram und im Bus. Gesprochen auf der Strasse. Gesprochen wird die Alltagssprache. Wenn eine Gruppe die gleiche Sprache spricht und sich versteht und begreift, so ist ihr Zweck erfüllt.
Mit dem Überhandnehmen der Globalisierung ist nicht mehr sicher, dass alle am Gespräch Beteiligten dieselbe Sprache verstehen. Es muss eine gemeinsame Sprache, meistens englisch, als Verkehrssprache herhalten. Um so schöner und bequemer, wenn man selber einige Fremdsprachen beherrscht. Mit Vorteil englisch oder spanisch. Das erlaubt miteinander zu reden und sich zu verstehen. Wenn das alles nicht geht, zum Beispiel in Japan, bleibt nur noch eine Lösung: sich eines guten Übersetzers zu bedienen.
Bei so vielen Fremdsprachen die uns täglich berieseln ist es unvermeidlich, dass sich daraus ein Sprachengemisch entwickelt, bei dem wieder das Englische vorherrscht. So finden cool, easy, goalkeeper, computer und party ihren Eingang in die tägliche Konversation.
Wenn es da etwas locker und salopp zu und her geht, ist das noch lange nicht den Untergang unseres Kulturguts Sprache.
Bei der Abfassung eines Artikels für die Tageszeitung, oder bei der Arbeit eines Schriftstellers, der ein Buch schreibt, oder bei einem Forscher der eine Abhandlung anfertigt; da gelten ganz andere Anforderungen an Ausdruck und Satzbau.
Hier liegt die Latte hoch. Zwei ganz neue Elemente kommen hinzu. Erstens die Beherrschung von Grammatik und Orthographie. Zweitens die Fähigkeit, den Wortschatz zu verwenden, um damit ein gut lesbares Kunstwerk zu gestalten.
So entsteht Literatur. Immer noch Kommunikation mit dem Partner, dem Leser. Allerdings ist das nicht mehr jedermanns Sache, hier wird es elitär.
Ob im täglichen Verkehr oder in der hohen Dichtkunst, neue Wörter, Sprachschöpfungen, eigene Erfindungen machen die Seele der Sprache aus. Die Sprache lebt.
Zuerst der Beweis in der Poetik. Beim Vergleichen des Wortschatzes in E.T.A. Hoffmanns Satire »Kater Murr« einerseits und in Heinrich Bölls »Ansichten eines Clowns«, anderseits, wird plastisch sichtbar, dass die Sprache dem Zeitgeist unterworfen ist, dass sie lebt. Der Umgang mit der Sprache hat sich vom 18. ins 20. Jahrhundert durchschlagend verändert. Beide Klassiker der Literatur geben, jeder für sich, ein völlig anderes Sprachbild. Genau so gibt es Unterschiede in der Wortwahl einer höheren Tochter in einer Klosterschule und einem Secundo albanischer Abstammung beim Fussballmatch.
Wenn ich im Tram fahre und erlebe wie an der Haltestelle der Berufsschule, ein Rudel von Jungen einsteigt, überkommt mir echte Freude. Eine Vielzahl von Secundas, Secundos und Einheimischen nehmen den ganzen Wagen in Beschlag. Alle schwatzen mit Allen. Lauthals, in ihrer Jugendsprache beherrschen sie das Geschehen. Ein unbekümmertes, babylonisches Gemisch von vielen Sprachbrocken bildet die Grundlage ihrer Kommunikation. Und sie verstehen sich! Das macht richtig Spass. Ein Teil unserer Kultur. Auch wenn wir ältere Semester irritiert sind. Die Jungen wollen sich immer wieder gegen die Alten abgrenzen. Das war schon vor 3000 Jahren so. Auf einer babylonischen Tontafel fand sich folgende Klage:
«Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher. Es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.»
Im Alten Testament steht, dass beim Turmbau von Babel der Sprachenwirrwarr entstanden ist. Inzwischen sprechen rund 80% der Menschheit in ca. 50 verschiedenen Hauptsprachen. Ist das nicht ein Trost? Ist die Kultur nicht erhalten geblieben? Die Menschheit und unsere Kultur haben sich weiter entwickelt. Sie ist in keiner Weise verloren gegangen. Sie hat sich entwickelt auf das, auf was wir heute stolz sind. Auf unsere Sprache.
Die Jugendsprache ist der Ausdruck für die Lust der jungen Leute, am kreativen Umgang mit unserer Sprache, ihren Beitrag zu leisten. Jeder Jugendliche wird einmal älter und wächst in die Verwendung der Standardsprache hinein. Dort bringt er seine Erfahrung in der Wortbildung aus den Jugendjahren mit. Dort leistet er seinen Beitrag zur Entwicklung der Lebendigkeit unserer Kultur und unserer Sprache.
Cool bleiben, ihr Alten!
Views: 65