Bluemoon

 

 

Diese Bild wurde mit dem Hubble-Weltraumteleskop aufgenommen
Diese Bild wurde mit dem Hubble-Weltraumteleskop aufgenommen

Ich liebe den Mond. Zwar nicht platonisch, sondern physikalisch. In den ersten Wochen vom September dieses Jahres hatten wir während mehr als vierzehn Tagen einen wolkenlosen, klaren Nachthimmel. Wunderbar wie sich der Mond ganz kurz nach Neumond, vorwitzig als feine Sichel, zu zeigen begann. Das war ein wunderbares Bild. Vor allem kurz nach Sonnenuntergang, in der Dämmerung. Unser Trabant stand selbstsicher am Himmel. Ein wahres Kleinod für den Beginn der Nacht. Nacht um Nacht wuchs der Mond. Immer höher stand er am Himmel. Immer grösser wurde sein Erscheinungsbild. Jede Nacht konnte ich diese Entwicklung hin zum Vollmond beobachten. Leider nur bis zu einem Tag vor dem vollen Mond. Am Vollmond war der Himmel bedeckt.
Der Mond der seit eh und je seine Bahn zieht. Bestimmt ist er das Gestirn, welches vom Menschen am meisten beobachtet wird. Vor allem in den Ländern im Süden. Dort wo der Nachthimmel während Monaten klar und heiter ist.
Da drängt sich die Verliebtheit mit den Menschen auf. Die einen bestaunen ihn und benützen ihn als Beleuchtung für eine Wanderung in den Bergen. Dass er auch Eingang in der Literatur und die Poesie gefunden hat, ist mehr als verständlich. Märchen und Gedichte in allen Sprachen zieren die Bibliotheken über den ganzen Globus. Ganz zu schweigen von den jungen Verliebten, die den Mond händchenhaltend bestaunen und heimliche Wünsche hinaufschicken. Auch nüchternere Naturen wurden vom Mond zum Denken angeregt.
Warum ist der Mond eine Kugel? Warum kommt er und verschwindet wieder? Es sind die Astronomen, die Physiker und die Mathematiker, die vom Mond fasziniert sind. Ich zähle mich ein wenig dazu. Darum die physikalische Liebe. Bei aller Liebe, der Mond hatte und hat auch heute noch einige Rätsel im Köcher.
Seine Laufbahn. Wir auf der Erde empfinden den Mond als fleissigen Planeten, der täglich seine Bahn über uns hinweg zieht. Eine Bahn um die Erde. Dieses Bild ist eine Täuschung. In Wirklichkeit legt der Mond pro Tag nur ein Siebenundzwanzigsten seiner Erdumwanderung zurück. Es ist die Erde die sich täglich dreht und den Eindruck hinterlässt, der Mond drehe sich einmal alle 24 Stunden um die Erde. Warum aber zeigt er dann immer nur sein Gesicht zur Erde? Warum sehen wir nie den hinteren Teil der Kugel? Weil der Mond sich ganz langsam um seine eigene Achse dreht. Er nimmt sich Zeit. Genau 27 Tage, sieben Stunden und 43,7 Minuten, um einmal um die Erde zu wandern und – gleichzeitig einmal-, um die eigene Achse zu drehen. Darum sieht ein Beobachter auf der Erde immer nur sein Gesicht, seine Vorderseite und nie dieRückseite.
Ich erinnere mich noch genau, wie im November 1959 in dem Boulevard-Blatt «Blick» ein Foto von der Mondhinterseite publiziert wurde. Es war eine Aufnahme, welche die russische Mondsonde Lunik 3 geknipst hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit konnten alle ein Bild von der Mondrückseite betrachten. Eine Sensation. Es stellt sich die Frage. «Wie halten sich die Himmelskörper wie Sonne, Mond, Planeten und Sterne am Himmel? Warum fallen sie nicht herunter oder nicht ineinander?». Alle wissen es. Da wirkt die Schwerkraft, die Gravitation. (In meiner Kolumne „Mond“ vom März 2015 habe ich darüber schon ausführlich berichtet.) Was aber ist nun Schwerkraft? Um es kurz zu machen: Wir wissen es nicht. Das fasziniert mich. Es gibt Grundkräfte in der Physik von denen wir nicht wissen, was sie sind. Wir können mit der Schwerkraft experimentieren. Wir können zum Beispiel ausrechnen, wie lange es dauern würde, wenn wir oben auf dem Eiffelturm eine Bierflasche ins Freie werfen, bis sie unten ankommt. Alle Körper ziehen sich eben gegenseitig an, wegen der Schwerkraft. Das gilt für alle Himmelskörper. Damit die Erde, von der Sonne angezogen, nicht in sie hineinfällt und verbrennt, bewegt sie sich auf einer elliptischen Bahn. Bahngeschwindigkeit und Anziehungskraft der Erde gegenüber der Sonne stehen genau im Gleichgewicht. Die Erde zieht ihre Bahn um die Sonne. Genauso wie der Mond um die Erde und mit ihr um die Sonne wandern. Damit wissen wir, wie das Sonnensystem funktioniert. Immer wissen wir noch nicht, was die Schwerkraft wirklich ist.
Isaak Newton war der Erste, der viel über die Schwerkraft nachgedacht hat. Viele Experimente durchgeführt und eine Formel dafür entdeckt hat. Das Gravitationsgesetz, das Fundament der klassischen Physik. Die Schwerkraft nannte er «eine ominöse Fernwirkung».
Albert Einstein fand eine andere Antwort. «Es gibt eigentlich gar keine Schwerkraft, sondern der Raum ist verbogen. Er wird ein physikalisches Objekt». Die allgemeine Relativitätstheorie lasse ich hier beiseite.
Warum bewegen sich alle Körper, die fallen gelassen werden, gegen den Mittelpunkt der Erde? Wegen der Massenanziehungskraft, der Gravitation. Das «Warum» können wir nicht erklären nur das «Wie»!
Das ist es, was mich so vereinnahmt, so beeindruckt, wenn ich abends den Mond betrachte. Das alles ist nur möglich, weil es die Schwerkraft gibt und wir wissen nicht, was sie ist. Betrachten wir es als Logo, als Markenzeichen, für die Genialität der Schöpfung.
Um den Mond ranken sich Mythen und Geschichten und interessante Phänomene. In der Regel gibt es einen Vollmond pro Monat. Aber nicht immer. Letztes Jahr im Juli hatten wir das Phänomen, dass im Juli zweimal Vollmond war. Am 2. und 29. Juli 2015. Die Romantiker nennen ihn dann Bluemoon. Die Schlümpfe sagen dem Bluemoon magische Kräfte nach. Im übernächsten Jahr 2018 gibt es sogar zweimal einen Bluemoon. Im Januar und im März. Entsprechend wird der Monat, in dem zwei Neumonde herrschen, Blackmoon genannt. Da der Februar in der Regel 28 Tage zählt, gibt es darüber hinaus auch noch «keinen Vollmond im Februar». Das nächste Mal findet das im Jahr 2018 statt. Vollmond ist dann vorher am 31. Januar und nachher am 2. März, also kein Vollmond im Februar 2018! Schliesslich ist der Vollmond am Silvester ein ganz besonderes Ereignis.
So viel zu den Spezialitäten. Es gibt da noch Mond- und Sonnenfinsternis, Ebbe und Flut, das ganze Apollo-Projekt, der erste Mann auf dem Mond. Viel Anderes noch wird dem Mond zugeschrieben. Schlafwandeln soll mit dem Mondstand zu tun haben. Kopfschmerzen und Migräne ebenfalls.
Weiter ist die Geologie des Mondes im Vergleich zur Erde sehr interessant. Würde sich der Mond als Rohstoffquelle für unsere Wirtschaft eignen? Da stellt sich sofort die Frage: «Wem gehört der Mond?» «Wie sind die Eigentumsverhältnisse?» Besitzansprüche von Firmen und Staaten sind ausgeschlossen. Das wurde in einem Vertrag niedergelegt, welcher von 192 Staaten ratifiziert wurde.
Könnte man den Mond kolonisieren? Quasi als dauerhaften Aussenposten, welcher als Rohstoffnachschubbasis für die Erde dienen würden. Nein! Der Aufwand wäre zu gross, die Kosten ebenfalls. Das ist und bleibt wahrscheinlich ein Thema für Science-Fictions-Geschichten.
Eine Frage soll uns am Schluss noch interessieren. Warum ist der Mond eine Kugel und zum Beispiel nicht eine Platte oder hat er die Form einer Kartoffel? Alle grossen Himmelskörper sind kugelförmig oder Ellipsoide. Wieder ist die Schwerkraft daran beteiligt. Jene grundlegende Naturkraft, von der wir nicht wissen, was sie wirklich ist. Die Schwerkraft ist bekanntlich die Eigenschaft von Körpern, sich gegenseitig anzuziehen. Voraussetzung für das Wirken der Gravitation ist eine Masse. Durch die Wirkung der Massenanziehung, vor Millionen Jahren, konnte aus Gaswolken Sterne und Planeten entstehen. Die Schwerkraft wirkt zum Mittelpunkt der Masse rundum gleichmässig. Das Ergebnis, bei der Abkühlung der Gasmasse, ist eine Kugel. Auf der Erde bewegt sich ein fallender Körper auch zum Mittelpunkt der Erde. Die Gasmoleküle tun es ebenfalls.
Wiederum eine Erklärung wie die Schwerkraft wirkt, aber nicht warum.

Foto aufgenommen mit Hubble-Weltraumteleskop
Foto aufgenommen mit Hubble-Weltraumteleskop

 

Der Mond
Ein Märchen aus der berühmten Sammlung der Kinder- und Hausmärchen von Jacob und Wilhelm Grimm, der Gebrüder Grimm um 1819.

Vor Zeiten gab es ein Land, wo die Nacht immer dunkel und der Himmel wie ein schwarzes Tuch darübergebreitet war, denn es ging dort niemals der Mond auf, und kein Stern blinkte in der Finsternis. Bei der Erschaffung der Welt hatte das nächtliche Licht ausgereicht. Aus diesem Land gingen einmal vier Burschen auf die Wanderschaft und gelangten in ein anderes Reich, wo abends, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, auf einem Eichbaum eine leuchtende Kugel stand, die weit und breit ein sanftes Licht ausgoss. Man konnte dabei alles wohl sehen und unterscheiden, wenn es auch nicht so glänzend wie die Sonne war. Die Wanderer standen still und fragten einen Bauer, der da mit seinem Wagen vorbeifuhr, was das für ein Licht sei. ‚Das ist der Mond,‘ antwortete dieser, ‚unser Schultheiss hat ihn für drei Taler gekauft und an den Eichbaum befestigt. Er muss täglich Öl aufgiessen und ihn rein erhalten, damit er immer hell brennt. Dafür erhält er von uns wöchentlich einen Taler.‘ Als der Bauer weggefahren war, sagte der eine von ihnen ‚diese Lampe könnten wir brauchen, wir haben daheim einen Eichbaum, der eben so gross ist, daran können wir sie hängen. Was für eine Freude, wenn wir nachts nicht in der Finsternis herumtappen!‘ ‚Wisst ihr was?‘ sprach der zweite, wir wollen Wagen und Pferde holen und den Mond wegführen. Sie können sich hier einen andern kaufen.‘ ‚Ich kann gut klettern,‘ sprach der Dritte, ‚ich will ihn schon herunterholen.‘ Der vierte brachte einen Wagen mit Pferden herbei, und der dritte stieg den Baum hinauf, bohrte ein Loch in den Mond, zog ein Seil hindurch und liess ihn herab. Als die glänzende Kugel auf dem Wagen lag, deckten sie ein Tuch darüber, damit niemand den Raub bemerken sollte. Sie brachten ihn glücklich in ihr Land und stellten ihn auf eine hohe Eiche. Alte und junge freuten sich, als die neue Lampe ihr Licht über alle Felder leuchten liess und Stuben und Kammern damit erfüllte. Die Zwerge kamen aus den Felsenhöhlen hervor, und die kleinen Wichtelmänner tanzten in ihren roten Röckchen auf den Wiesen den Ringeltanz. Die vier versorgten den Mond mit Öl, putzten den Docht und erhielten wöchentlich ihren Taler. Aber sie wurden alte Greise, und als der eine erkrankte und seinen Tod voraussah, verordnete er, dass der vierte Teil des Mondes als sein Eigentum ihm mit in das Grab sollte gegeben werden. Als er gestorben war, stieg der Schultheiss auf den Baum und schnitt mit der Heckenschere ein Viertel ab, das in den Sarg gelegt ward. Das Licht des Mondes nahm ab, aber noch nicht merklich. Als der Zweite starb, ward ihm das zweite Viertel mitgegeben und das Licht minderte sich. Noch schwächer ward es nach dem Tod des dritten, der gleichfalls seinen Teil mitnahm, und als der vierte ins Grab kam, trat die alte Finsternis wieder ein. Wenn die Leute abends ohne Laterne ausgingen, stiessen sie mit den Köpfen zusammen. Als aber die Teile des Monds in der Unterwelt sich wiedervereinigten, so wurden dort, wo immer Dunkelheit geherrscht hatte, die Toten unruhig und erwachten aus ihrem Schlaf. Sie erstaunten als sie wiedersehen konnten: Das Mondlicht war ihnen genug, denn ihre Augen waren so schwach geworden, dass sie den Glanz der Sonne nicht ertragen hätten. Sie erhoben sich, wurden lustig und nahmen ihre alte Lebensweise wieder an. Ein Teil ging zum Spiel und Tanz, andere liefen in die Wirtshäuser, wo sie Wein forderten, sich betranken, tobten und zankten, und endlich ihre Knüttel aufhoben und sich prügelten. Der Lärm ward immer ärger und drang endlich bis in den Himmel hinauf. Der heilige Petrus, der das Himmelstor bewacht, glaubte die Unterwelt wäre in Aufruhr geraten und rief die himmlischen Heerscharen zusammen, die den bösen Feind, wenn er mit seinen Gesellen den Aufenthalt der Seligen stürmen wollte, zurückjagen sollten. Da sie aber nicht kamen, so setzte er sich auf sein Pferd und ritt durch das Himmelstor hinab in die Unterwelt. Da brachte er die Toten zur Ruhe, hiess sie sich wieder in ihre Gräber legen und nahm den Mond mit fort, den er oben am Himmel aufhing.

Christian Morgenstern
Die Trichter

Zwei Trichter wandeln durch die Nacht
durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fließt weißes Mondlicht
still und heiter
auf ihren
Waldweg
u.s.
w.

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