Die klandestine Heirat der Stockalperin II

Zweite Fortsetzung

Die Sonne versteckte sich eben hinter dem Glishorn. Kaspar Eugen Stockalper kam von einer Kontrolle der letzten Säumer zurück. Sie hatten Wein aus Italien gebracht. Es wurde kühl, und es war nicht sicher, ob heute doch noch Regen zu erwarten war. Dickere Wolken zogen sich schon über der Burgschaft zusammen. Doktor Zenhäusern, der Hausarzt, trat zur Türe heraus.
«Dem Papa geht es nicht gut, lieber Eugen. Er hustet und ist enorm geschwächt. Es ist wichtig, dass er sich wirklich schont. Keine Arbeit, kein Kartenspiel, schon gar nicht Schach. Sorgen Sie dafür, dass er den Kräuterwein einnimmt. Dreimal am Tag drei Gläser. Der Köchin habe ich entsprechend Weisung erteilt. Ich empfehle mich. Bis morgen.» Dann marschierte er die Burgschaft hinunter davon.
Wie wenn der nicht wüsste, dass mein Vater ohnehin nur tut, was er will. Von diesem Quacksalber lässt er sich nicht kommandieren. Und ich soll da zum Rechten schauen? Mit diesen Gedanken im Kopf, sah er den Kaplan von Glis am Wegenerplatz auf ihn zukommen. Dem erregten Gestikulieren nach war schlechte Mär im Anzug.
Kaum hatte Hochwürden Eugen begrüsst, legte er los: «Ich muss den Baron sprechen. Es ist Feuer im Dach. Es geht um die Ehre Eurer Familie.»
Eugen konnte den Geistlichen nicht davon abhalten, mit dem Clanchef zu sprechen. So trafen sich Kaspar Jost, Eugen und der Kaplan im Arbeitszimmer des Wohnhauses. Rufus, der Kammerdiener, hatte Wein und Wasser bereitgestellt.
«Wenn die Geistlichkeit sich zu uns bemüht, braucht sie entweder Geld oder bringt schlechte Nachrichten.»
«Das zweite trifft zu, Euer Gnaden. Margaretha will sich im Geheimen mit Ferdinand Werra vermählen!»
Zuerst Totenstille, dann ein Hustenanfall wie das Kampfgeschrei eines Löwen, schliesslich nur ein Satz: «Kommt auf gar keinen Fall in Frage. Nein!»
Es brauchte ein paar Schlucke unverdünnten Weins, dann beruhigten sich die Gemüter. Endlich konnte der geistliche Herr die Lage darlegen. Gestern nach dem Mittagessen hatte Ferdinand beim Pfarrhaus angeklopft. Wollte den Pfarrer sprechen und teilte mit, dass er im Geheimen die jüngste Tochter der Stockalper heiraten möchte. Er hatte einen gültigen, vom Nuntius unterschriebenen Dispens bei sich.
Allen war klar, wie prekär und peinlich die Lage war. Höchste Eile war geboten. Der alte Baron hatte sich wieder völlig in seiner Gewalt. Standesgemäss bedankte er sich beim Geistlichen und verabschiedete ihn. Der Kammerdiener wurde herbeigeläutet: «Rufus, er trommle sofort alle meine Söhne zu einer wichtigen Familienbesprechung herbei. Er bringe auch noch genug Wein und Wasser. Wir werden es gebrauchen können.»

Kurze Zeit danach kündigte der Geruch von Baltasars Pfeifentabak sein Kommen an. Die Klinke des Arbeitszimmers übergab er gleich seinem älteren Bruder Kaspar Joseph. Gefolgt von Hildebrand, dem Jüngsten im Bunde, und von Ignaz Bonaventura. Mit Kaspar Eugen waren alle fünf Söhne von Kaspar Jost anwesend. Solche Versammlungen wurden in der Familie nicht oft einberufen. Wenn sie aber stattfanden, dann hatte es einen mehr als triftigen Grund. Entsprechend achtete man darauf, den Patriarchen, der die Sitzung wie der Chef des Generalstabs leitete, nicht zu reizen. Heute lagen die Nerven blank. Die Lage wurde knapp erläutert, dann sprachen alle durcheinander.
«Dieser Habenichts hat es doch nur auf die Mitgift abgesehen!»
«Eine solche Ehe würde unsere Vormachtstellung im Oberwallis erheblich schwächen.»
«Ganz zu schweigen vom finanziellen Aderlass.»
«Die Kleine gehört ins Kloster. Genauso wie ihre Schwester Crescentia!»
«Dieser Werra möchte doch nur mit unserer Mitgift sein heruntergekommenes Schlösschen in Agarn aufmöbeln. Der will doch wieder an die Macht kommen!»
Als sich das Gerede langsam erschöpfte, ergriff der Baron das Wort: «Eine Heirat mit der Familie Werra, ob geheim oder offiziell, kommt nicht in Frage. Sie würde dem Rufe unserer Familie schaden. Es ist unsere Pflicht, die Vormachtstellung in unserer Stockalperfamilie zu konzentrieren. Sie zu mehren. Da können wir standesgemässe Verbindungen mit andern wichtigen Familien über die weibliche Linie nicht tolerieren. Kommt dazu, dass eine Ehe in camera caritatis ein unfairer, hinterlistiger Vorgang ist. Diese Kabale wird mit Stumpf und Stiel ausgerottet und begraben. Deshalb verfüge ich wie folgt: Du, Hildebrand, bist der Lieblingsbruder von Gritli. Du bringst ihr die Raison der Familie bei. Du überzeugst sie davon, dass sie ins Kloster gehört! Bonaventura, du hast die Autorität, mit Ferdinand zu reden. Wir müssen vorsichtig vorgehen. Die Werras sind nicht ohne Einfluss. Es würde mir gar nicht gefallen, mit denen in einen offenen Konflikt zu geraten. Du bringst diesem Ferdinand bei, dass von Liebe keine Rede sein kann. Erzähle ihm, dass Gritli ins Kloster will. Er soll aufhören, ihr den Hof zu machen. Schliesslich du, Eugen, du leitest die ganze Operation. Zur gegebenen Zeit erteilst du mir Bericht, wenn diese Störung endgültig aus der Welt geschafft ist.»
Nach dieser Rede sank der kranke Mann in seinem Stuhl zusammen. Eine heftige Hustenattacke hallte durch das ganze Haus. Erst eine beträchtliche Menge heissen Kräuterweins weckten seine Lebensgeister wieder.

Die dritte Fortsetzung erscheint am 1. Juli 2018

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