Wer kennt nicht dieses bekannte alltägliche Bild? Arbeitsverkehr in der S-Bahn nach Zürich. Beinahe alle Sitzplätze sind besetzt. Alle Fahrgäste, ausnahmslos alle, starren in Ihr Mobiltelefon. Kaum ein Wort wird gewechselt. Stille wie im Gottesdienst. In meinem Kopf erwachen schon die Vorurteile vieler Pessimisten. «Keinen Kontakt mehr mit dem Nächsten. Totale Abkapselung. Die Menschheit versinkt in die Einsamkeit. Zur Hölle mit diesen modernen Teufelsmaschinen.» Darunter ist das allgegenwärtige Handy zu verstehen. Die wenigsten sind sich bewusst, was für ein Wunderwerk der Technik dieser Kleincomputer ist. Die Astronauten von Apollo 11, als sie vor bald 50 Jahren den Mond eroberten, hatten weit weniger leistungsfähige Elektronenrechner an Bord. Dies nur nebenbei.
Zurück zur S-Bahn. Könnten die Betätigungen der Pendler nicht auch so sein? Der graumelierte Herr liest die elektronische Version der Neuen Zürcher Zeitung. Die etwas ältliche Jumpfer neben ihm, wird von Ereignissen des Alten Roms in ihren Bann gezogen. Sie könnte «Ben Hur» lesen. Der junge Mann vis-à-vis muss ein Lehrling sein, der noch rasch seine französischen Hausaufgaben erledigt. Während die andere Dame im anderen Abteil vergnügt ein Hörbuch – vielleicht «Goethe: Die Leiden des Jungen Werthers.» – geniesst. Der Herr ihr gegenüber muss ein Ingenieur sein. Wahrscheinlich in einer Führungsposition. Er versucht aus einem Handbuch für Unternehmensführung einige Tipps für seinen Job herauszufiltern. Und dann ist da noch die Dame von der Goldküste. Sie beansprucht mit ihrem Schosshündchen und ihren Taschen beide Plätze auf der Sitzbank. Auch sie, von ihrem Mobiltelefon fasziniert, muss in einem Modejournal blättern.
Das könnte ja alles so sein. Ist es aber auch wirklich so? Im Zeitalter der gläsernen Menschen, der Menschen die ihr ganzes Wesen mit all ihren Freuden und Sorgen in den sozialen Medien wie Facebook & Co ausbreiten, hüten hier in der S-Bahn ihre Privatsphäre. Niemand erkennt vom anderen, was er wirklich tut. Hier ist er Mensch. Hier kann er sein.
Vor zehn, fünfzehn Jahren war das noch ganz anders. Auch damals ging jeder seinen persönlichen Neigungen nach. Nur, für den stillen Beobachter war es ein offenes Buch. Der ältere Herr las die Boulevardzeitung «Der Blick». Die ältere Jumpfer war von einem Krimi von Dona Leon gefangen. Der junge Mann war ein Gymnasiast und las Asterix. Die junge Dame ging eine Kalorientabelle für gesunde Lebensmittel durch. Der Manageringenieur hielt verstohlen Lady Chatterly in den Händen. Die Goldküstendame schliesslich, hörte ein Klavierkonzert von Mozart auf ihrem Walkman.
Im Grunde hat sich gegenüber früher nichts geändert. Nur die Art und Weise, die Technik wie das Dargebotene genossen wird ist neu. Der stille Beobachter sieht heute keine Zeitungen, keine Bücher mehr. Sein Blick fällt nur noch auf ein einfaches Produkt des Medienkonsums, dem Smartphone
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