«Wie wird das Wetter heute?»
Onkel Ferdi schaute zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, dreimal am Tag in den Himmel und sagte uns das Wetter voraus. Tante Nel in Holland wusste immer, wann Regen kam. Das war, als ihre Zehen schmerzten. Unsere Magd Stephanie richtete sich nach den Bauernregeln. So wusste sie am Tag des Heiligen Matthias (24. Februar) «Nach dem Mattheis, geht kein Fuchs mehr übers Eis.» Oder am Josephstag «Joseph klar, ein gutes Jahr». Wir, Robi und ich, machten sich über sie lustig: «Regnet es am Barnabas, werden alle Dächer nass.»
Ein Historiker an der Universität Freiburg hatte bei seinen Forschungen festgestellt, wie wenigen Angaben er in den Quellen des Mittelalters zum Thema «Wetter» begegnete. Er begründete die Feststellung damit, dass auch jene wenigen, die schreiben und lesen konnten, keinen Wert darauflegten, die tägliche Wetterlage schriftlich festzuhalten. Das Wetter gehörte genauso zum Leben wie wohnen, arbeiten, essen und schlafen. Der damalige Mensch muss das Wetter als sich ständig sich verändernden Naturvorgang wahrgenommen haben. Das Wetter musste man nehmen wie es gerade daherkam. Mit dem Wetter musste man sich arrangieren. Bedeutung hatte das Wetter für ihn nur dort, wo er tätig war. Sogar grössere, manifestere Auswirkungen des Wetters, wie Hochwasser oder grosse Kälteperioden, fanden kaum historische Erwähnung in den Chroniken.
Eine einzige Ausnahme gab es im 17. Jahrhundert. Ein Pfarrer im Oberwallis hatte über mehr als dreissig Jahre ein Tagebuch über die tägliche Wetterlage geführt. Eine Sensation. Endlich hatten die Historiker eine Quelle, welche die Angaben über das Klima während einer grossen Zeitspanne im Goms dokumentierte.
Die Frage nach dem Wetter interessierte nur die lokale Situation für den jeweiligen Tag. Höchstens noch für den morgigen Tag. So war das noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Onkel Ferdi wollte wissen, ob er einen Regenschutz mitnehmen musste, wenn er in die Reben arbeiten ging. Mehr nicht.
Natürlich wurde über die Zukunft des Wetters auch gewerweisst und gerätselt. Das waren die typischen Gespräche am Sonntag beim Café noir.
Wird es ein schöner Sommer mit abwechselnd viel Sonne und genug Regen? Das gäbe einen hohen Feldertrag. Dürre über die Jahre ist gleichbedeutend mit Hunger und Tod. Bloss keine Überschwemmungen und kein Orkantief, welches unser Hab und Gut zerstört. Blitz und Donner machen Angst und erzeugen Waldbrände.
Auf diese Fragen gab es keine zuverlässigen Antworten. Auch die Bauernregeln halfen nicht weiter. Das waren immer nur 50%-Aussagen, So-oder-so-Angaben; das heisst, sie hatten immer Recht.
Am Morgen, kaum wach, ein Blick in den Himmel. Morgenröte, strahlender Sonnenaufgang, dunkle Wolken vielleicht. Anzeichen, aus denen sich das Wetter des kommenden Tags einigermassen hervorsagen lässt. Weitere Signale, wie tieffliegende Schwalben, Unruhe im Stall, die Aktivität der Bienen, ein Hof um den Mond, Wetterwechsel vor und nach dem Vollmond, das Verhalten des Wetterfrosches im Terrarium. Alles Anzeichen, aus denen die Zukunft des Wetters, wenn auch eher unzuverlässig, abgelesen wurde. Die Treffsicherheit dieser Art von Ankündigen ist gerade genau genug, um mit der täglich herrschenden Witterung fertig zu werden. Die Erfahrungen aus den täglichen Himmelsbeobachtungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Und dieser Wissensschatz diente über sehr lange Zeit, die anstehende Arbeit, unter Berücksichtigung der Wetterlagen, zu organisieren. Gültigkeit hatten sie sowieso nur für die lokalen Wettergeschehnisse und für eine beschränkte Zeit. Es gab keine Alternative. Mit diesen Ereignissen der Natur musste man leben.
Als sich die Industrialisierung breit machte, kam es zu einem Paradigmenwechsel. Plötzlich benötigte man präzise Angaben zum Wetter. Weg von den lokalen Erfahrungen. Das Wetter wurde ein Teil der Globalisierung.
Die Erfindung des Telegraphen erlaubte es, plötzlich Informationen über Regenmenge, Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit weiterzugeben. Das war der Startschuss für die Erfassung der überregionalen, internationalen Wetterlage auf dem ganzen Kontinent. In London war man auf dem Laufenden, wie das Wetter in Berlin gerade war.
Die Seefahrt, die Luftfahrt und das Eisenbahnwesen waren auf weltweites Wissen des Wetters angewiesen. Die Prognosen wurden immer präziser.
Die Meteorologie als Wissenschaft nahm Fahrt auf. Jetzt konnte das Wetter genau studiert werden und aus ihm erstaunlich genaue Vorhersagen abgeleitet werden. Auf die Stunde genau liefert uns Meteo-Schweiz Angaben über den Zeitpunkt und die Mengen eines bevorstehenden Regengusses. Mit der Präzision einer Schweizeruhr trifft das Ereignis auch ein. Vorbei die Zeit, als uns Radio Beromünster «Regen, abwechselnd mit sonnigen Abschnitten, in Gewitternähe Böen» meldete.
Möglich ist dies durch ein dichtes Netz von Messtationen und Satelliten auf und über dem Globus geworden. Ein grenzüberschreitender Informationsaustausch, an dem sich alle Länder beteiligen. Jedermann kann, wenn er sie braucht, genaue Wetterdaten abrufen. Dank bester Software, Rechenzentren mit unglaublicher Speicherkapazität und einer guten Theorie über alle Abläufe in der Lufthülle werden zuverlässige Wettermodelle entwickelt.
Bergsteiger, Segler, Wanderer und Geschäftsleute, kurz jeder der es wissen möchte, weiss welche Klimaverhältnisse wo auf der Erde gerade herrschen. Eine gewaltige technische Leistung. Ein beeindruckender Fortschritt.
Was bedeutet das für den Alltag des strebsamen Bürgers? Nicht allzu viel.
Eigentlich sind wir, wie vor hundert Jahren, immer noch den Launen der Witterung ausgesetzt. Auch wenn mindestens dreimal im Tage das Smartphone zu Rate gezogen wird. Die Information, die unser Bürger erhält, ist für ihn und für das, was er zu tun gedenkt, kaum besser als jene, die Onkel Ferdi hatte, 70 Jahre zurück.
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert das Wetter oder bleibt wie es ist.
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Lieber Hans
In dieser Zeit, in der das tägliche Motto „Bleiben Sie zu Hause“ heisst, habe ich Deinen Blog richtig
giekerig erwartet. Vielen Dank, denn er war sehr interessant. Auch wir schauen uns im Fernsehen die
Wetterprognosen an aber manchmal ist die Prognose so weit voraus, dass man sie unmöglich behal-
ten kann. Mein privater Wetterdienst kommt vom Pilatus. Am Morgen, wenn ich zum Lüften die Bal-
kontüre öffne, schaue ich auf unseren Hausberg und „hat er einen Degen, so gibt es Regen, hat er ei-
nen Hut, wird das Wetter gut.“ Ob Du es glaubst oder nicht, der Hausberg hat immer recht.
Bleib gesund und b’hüet Dy,
Ági und Hans
Lieber Hans
In dieser Zeit, in der das tägliche Motto „Bleiben Sie zu Hause“ heisst, habe ich Deinen Blog richtig
giekerig erwartet. Vielen Dank, er war sehr interessant. Auch wir schauen uns im Fernsehen die
Wetterprognosen an aber manchmal ist die Prognose so weit voraus, dass man sie unmöglich behal-
ten kann. Mein privater Wetterdienst kommt vom Pilatus. Am Morgen, wenn ich zum Lüften die Bal-
kontüre öffne, schaue ich auf unseren Hausberg und „hat er einen Degen, so gibt es Regen, hat er ei-
nen Hut, wird das Wetter gut.“ Ob Du es glaubst oder nicht, der Hausberg hat immer recht.
Bleib gesund und b’hüet Dy!
Liebe Grüsse,
Ági und Hans Zwyer
Ági und Hans
Mein Freund Werner war mit der Schlusspointe, es hätte sich für Otto-Normalverbraucher in letzten 50 Jahren nichts geändert. Er profirierte bei einer Fahrt auf sein Motorrad von Zürich nach Graz sehr wohl von den vorzüglichen Info von SRF-Meteo. In Zürich regnete es. Um nicht durchnässt in Graz anzukommen studierte er die Wetterkarte. Er wählte eine Route auf der regenfreien Front. So kam er, abgesehen von ein paar Spritzer, trocken ans Ziel. Werner ist eben kein Normalverbraucher.