Brennholz war, bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, für jede Familie in Leuk seit Menschengedenken der wichtigste Energiespeicher. Andere Energielieferanten wie Torf oder Kohle als Alternative gab es im Wallis nicht. Von Erdöl, Gas oder Elektrizität ganz zu schweigen. Der einzige Rohstoff, der «vor der Tür» lag, war Holz aus den umliegenden Wäldern.
Jahr für Jahr musste jeder Burger für dessen Nachschub besorgt sein. Bis das Holz den Weg vom Wald bis auf den Estrich zurückgelegt hatte, war viel Arbeit notwendig. Das Thema wurde jedes Jahr im letzten Quartal zum Gesprächsstoff Nummer eins. Einmal hatte ich Gelegenheit, den ganzen Herstellungsprozess zu begleiten und auch tüchtig Hand anzulegen.
Der Burgerrat entschied, welches Waldstück der Burgschaft im laufenden Jahr das Losholz liefern sollte. Auf den Namen «Losholz» komme ich noch zurück. In Frage kamen der Bannwald und der Thelwald im Norden sowie der Pfynwald im Süden der Gemeinde. Dieses Jahr war der Pfynwald dran. Hier wuchs das gesuchte Holz der Föhren, Lärchen und Fichten. Als erstes bezeichnet der Förster alle jene Bäume, die für die Bereitung des Losholzes gefällt werden dürfen. Bei uns führte Onkel Hans die Regie für die Holzbeschaffung der Familie. Wie jede andere Familie, die von Gratisholz der Burgschaft profitieren möchte, mussten wir an die Arbeit.
Um fünf Uhr in der Früh sass ich mit Onkel Hans zum Frühstück in der Küche. Grand’maman servierte Rösti mit Spiegelei. «Waldarbeit verbraucht Kraft, da braucht es eine gute Unterlage.» Noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche währschafte Kost auf nüchternen Magen morgens früh zu mir genommen. Onkel Hans schlug kräftig zu. Ich folgte ihm und würgte die Speise, die ich eigentlich gerne hatte, aber nicht zu dieser Tageszeit, herunter. Während des Essens erläuterte Onkel Hans den Ablauf des Tages und zählte noch einmal die notwendigen Gerätschaften auf, die wir aufladen sollten. Ungefähr um sieben waren wir mit dem grossen Leiterwagen, von unserem Maulesel Lisa gezogen, im Pfynwald und begannen die Bäume zu fällen. Jede Familie hat Anspruch auf fünf Ster Holz. Grob geschätzt entspricht das fünf Kubikmeter. Zehn Bäume mussten für fünf Ster schon gefällt werden. Einen Baum von über 20 Meter Länge umzusägen, ist eine dramatische Sache. Zuerst musste entschieden werden, in welcher Richtung die Föhre fallen sollte. Damit das funktionierte, wurde zuunterst gleich über der Wurzel mit dem Beil ein tiefer Keil ins Holz geschlagen. Die Zweimannsäge wird auf der anderen Seite des Keils angesetzt, und los geht’s. Ritz, ratsch. Am Anfang kommt die Säge gut voran. Ist sie in der Mitte des Stamms angekommen, wird’s harzig. Mit einem Lappen getränkt mit Petrol, wird das Sägeblatt vom kleberigen Harz entfernt. Weiter geht’s. Der Baum neigt sich langsam in der gewollten Fallrichtung.
Kurz bevor er fällt, beginnt er zu knistern. Dann noch zwei bis drei Schnitte und in Deckung gehen. Rasches Handeln ist Bedingung. Weg mit der Säge und fünf Schritte nach hinten. Beeilung. Der Stamm fällt, er wird gleich wieder von den Ästen abgefedert und springt noch einmal auf. Völlig unberechenbar. Da steht man besser ein paar Meter in sicherer Entfernung. Onkel Hans lehrte mich, wie man mit dem Beil die Äste entfernt, ohne sich zu verletzen. «Immer neben dem Baum stehen und die Äste auf der anderen Seite abhacken.» Bis der letzte Baum völlig ohne Äste da lag, war es Zeit für eine Essenspause. Hauswürstchen, Brot und verdünnter Wein aus der Patille standen auf dem Speiseplan. Während der Pause erklärte mir mein Onkel, dass jetzt die langweilige Arbeit anstand. Die Bäume mussten nun auf den Meter genau zersägt werden. Dazu wird wieder die Zweimann-Blattsäge benützt. Zuerst wird der Baum am Boden liegend in vier bis fünf Teile von ca. fünf Meter Länge zerkleinert. Diese Abschnitte werden auf den mitgebrachten Sägebock gelegt. Wir standen einander gegenüber und zogen die Blattsäge in einem rhythmischen Hin und Her. «Aufpassen; das Blatt darf nicht herausspringen!» Einmal war ich nicht aufmerksam. Die Säge sprang aus dem Schlitz und verletzte meinen linken Zeigefinger. Die Wunde war nicht sehr schlimm und wurde gleich verarztet. Pfeffer auf Wunde streuen, den Finger mit einem Stück Papier verbinden und mit einem Schnürchen zusammenhalten. (Die Heilung gelang perfekt. Die Narbe ist heute noch sichtbar.) Bis zum Zvieri waren zwei Bäume in meterlange Baumteile zerlegt. Ein Ster Losholz war bereit. Nachdem die Ordnung auf dem Arbeitsplatz erstellt und der Wagen mit abgehackten Ästen beladen war, zog uns Lisa den Berg hinan zurück nach Leuk. Ich war fix und fertig. Stolz aber auch. Jetzt hatte ich gelernt, mit Säge und Beil umzugehen und hatte einen bleibenden Eindruck von der Arbeit im Wald.
Am nächsten Tag machten sich meine beiden Onkel Hans und Ferdi wieder auf in den Wald. Ich hatte frei und konnte meinen Muskelkater pflegen. Ein paar Tage später erzählte Onkel Ferdi, die fünf Ster wären bereit. Der Förster hatte das Los abgenommen. Unsere Familie hatte das Los Nummer 157 bereitet.
Warum spricht man von Losholz? Das hatte sich vor Jahrhunderten ergeben. Wenn jeder seine eigenen fünf Ster vorbereitet hätte, wäre die Versuchung zu gross, sich zu bevorteilen. Nur schöne Bäume zu fällen. Bei der Abmessung etwas grosszügig zu sein. Weitere Tricks anzuwenden, um besonders vorteilhaft davon zu kommen. Da heute jeder eine Fünfsterbeige herstellt, die vom Förster eine Nummer bekommt, sind Betrügereien fast nicht möglich. Denn: wenn alle Losholzeinheiten bereit sind, kommt es zur Verlosung. Ein feierlicher Anlass in der Burgerstube im Rathaus. Alle Familien waren vertreten. Der Burgermeister hielt eine Ansprache. Lob und Tadel über die Arbeit wurde verkündet. Aus den Reben der Burgschaft wurde Rotwein serviert.
Der Forstwart hatte eine Kiste bei sich in dem die Lose lagen. Einer nach dem andern griff in die Kiste und nahm ein Los heraus. Onkel Ferdi schickte mich. Nummer 134 hatte ich gezogen. Onkel Hans war sehr zufrieden. Er wusste, dass sich das Los 134 nahe der Kantonstrasse befand. Das vereinfachte den Transport.
Um das Holz aus dem Pfynwald nach Leuk zu bringen, genügte der Leiterwagen mit dem Maulesel nicht. Herr Kippel besass einen Traktor und einen grossen Anhänger. Er wurde angeheuert, und wieder ging es morgens früh, diesmal von Dieselöl angetrieben, zum Los Nr. 134. Kurz vor der Färbi, die Rhone war schon in Sicht, verlor der Anhänger sein linkes hinteres Rad. Wie konnte das nur passieren? Das Rad war mit fünf Spezialschrauben befestigt gewesen. Eine lag ein paar Meter entfernt auf der Strasse. «Die vier anderen Schrauben liegen sicher irgendwo auf der Strasse. Geh Du zurück, suche die Schrauben und bringe sie so rasch wie möglich hierher», sagte Herr Kippel, drückte mir die eine Schraube als Muster in die Hand und schickte mich auf die Suche. Mit allen Fünfen kam ich zurück. Wurde von männiglich gelobt. Das Rad wurde montiert, und die Fahrt ging weiter. Gegen Mittag wurde das Los vor der Haustüre aufgestapelt. Man verabschiedete sich. Kippel fuhr eher etwas bedrückt sein Gefährt in die Garage. Das Holz lag vor der Tür und wartete darauf, noch einmal in Stücke zersägt zu werden. Pro Tots müssen fünf Klötze anfallen. Früher wäre das wieder eine Heidenarbeit mit der Zweimann-Blattsäge gewesen. Wäre da nicht Steffi Seewer. Jedermann kannte ihn. Er war ein Stadtoriginal. Redete ununterbrochen. Er hatte einen Sprachfehler und war schwer zu verstehen. Aber er hatte auch eine mit einem Benzinmotor betriebene, fahrbare Bandsäge. Auch er wurde geheuert. Er zerschnitt die Rundhölzer unter ununterbrochenem Kommentieren. Zweimal wurde der Motor abgewürgt. Drei Stunden später lag, immer noch vor der Haustüre, ein grosser Holzhaufen. Die runden Klötze müssten nun gespalten werden. Wieder Teamarbeit. Drei Spaltstöcke wurden herbeigeschafft. Drei Brüder, mein Vater und zwei Onkel starteten einen Wettbewerb. Wer machte pro Stunde am meisten Kleinholz. Meinem Bruder Robi und mir stand die Aufgabe zu, die zerkleinerte Ware mit Tragkörben, die im Wallis Tschiffere heissen, auf den Estrich zu bringen und dort ordentlich aufzubeigen. Die Spaltarbeit nahm zwei Tage in Anspruch, die Trägerei deren drei. Damit war die Reise des Pfynwaldholzes zum Estrich des Barons abgeschlossen. Das hatte nun ein Jahr Ruhe, um zu trocknen und dann zum Kochen und Heizen verwendet zu werden.
PS: Ein Riesenaufwand und ein eigentliches Projektmanagement, um genügend Energie zu haben, um ein Jahr lang einen Haushalt am Leben zu halten.
Und heute: Einen Knopf drehen, vielleicht noch einen Regler einstellen, und wir haben unbeschränkte Energie frei Haus.
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Lieber Hans, beim lesen Deines Blogs wurden so viele Erinnerungen wach! Bei uns in Ungarn wurde
mit Holz geheizt und gekocht (bis 1944 die ganze Familie vor den Russen nach Deutschland floh). Auch Wenn ich eines der Rezepte meiner Mutter nachbacke, staune ich nur wie die Köchin alles so perfekt meisterte. Man konnte ja beim Herd die Temperatur nicht regeln. Übrigens, die Rezepte sind super-gut aber minimalistisch doch Übung macht den Meister und so gelingen sie auch heute noch, mit Temperatur-Regler und Timer. Das einzige, dass nicht zu Hause gebacken wurde war das Brot. Der Teig wurde zu Hause gemacht und in einem langen Korb zum Bäcker gebracht. Ich nehme an, wegen der Grösse des Backofens. Deine Beschreibung der Arbeit um das Losholz ist so lebendig, dass ich fast den Geruch des zersägten Holzes riechen konnte. Ich wünsche von Herzen, dass Du gesund bleibst und, dass wir in absehbarer Zeit einen Treff erleben dürfen. Ich möchte nämlich Deine Narbe am Finger sehen! Alles Gute und herzlich Grüsse aus Luzern, Ági und Hans