Immer wenn ich dieses Wort höre, fliegen mir zwei Gedanken durch den Kopf:
Franz Schubert und blau!
Das Lied des Komponisten war in unserem Haushalt, vor allem bei den Kindern, besonders beliebt. Ebenso das daraus abgeleitete Quintett. Kammermusik mit einer Bassgeige! Wir besassen eine Aufnahme auf einer Vinyl-Langspielplatte. Sie drehte oft ihre Kreise. Kratzte auch schon ein wenig. Bisweilen wurde mit der Geige mitgespielt. Es war die Forelle, welche die Musik der Klassik in unsere Familie gespült hatte.
Pius Cádiz erklärte mir einmal den Unterschied zwischen einer Regenbogenforelle und einer Bachforelle. Die erste ist ein faules Tier. Es bewegt sich nur in ruhigen Gewässern. Die Regenbogenforelle frisst alles, was ihr vors Maul kommt. Sogar die Tabakresten einer Zigarettenkippe. Sie ist fett und schmeckt tranig. Ganz anders die Bachforelle. Sie ist eine tüchtige Schwimmerin. Stets in Bewegung in den Bergbächen. Durchtrainiert. Kein Gramm Fett. Eine kulinarische Delikatesse. Schwierig zu fangen. Eine echte Herausforderung für den Angler.
Zurück zum zweiten Stichwort. Blau hatte in diesem Zusammenhang nichts mit einem verkaterten Morgen nach dem Neujahrsfest zu tun. Kulinarisch galt die Forelle als eine besondere Speise. Grand’maman brachte sie jeweilen im heissen Sud, kreisförmig vom Kopf zum Schwanz zusammengebunden auf den Tisch. Forellen gab es in Leuk nur dann, wenn Onkel Hans sie vom Fischen nach Hause brachte.
Er war nicht nur ein guter Jäger, ab und zu sogar ein Wilderer. Er liebte es, in den Wildbächen des Wallis Bachforellen zu fischen. Ab dem 2. Januar eines jeden neuen Jahres war die Schonzeit vorbei. Onkel Hans begab sich dann auf den Spuren Petris auf die Pirsch.
Vorher, in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester, wurden die Fischereigerätschaften in Stand gestellt. Er erklärte mir dabei in der Küche von Grand’maman alles, was ein guter Fischer wissen muss. Das interessierte mich, damals zehnjährig, sehr. Besonders die Köder hatten es mir zugetan. Silbrig glänzende, fünf Zentimeter lange, schraubenförmig gebogene Blechstücke stellten mir Rätsel. «Die bewegen sich im Wasser und werden von den grösseren Fischen als kleine Frühstücksspeise gehalten», erläuterte mir der Bruder meines Vaters. Das leuchtete mir nicht ein. Ich holte ein Glas Wasser und hielt den metallenen Scheinfisch hinein. Nichts geschah! «Natürlich im fliessenden Wasser», brummte Onkel Hans. Und siehe da. Unter dem Wasserstrahl aus dem Küchenhahn glitzerte und drehte sich der Köder. Wie ein kleiner Fisch. Raffiniert, wie die Fischer die Forellen täuschen konnten. Da würde sogar ich zubeissen, um mit dem Angelhaken aus dem Wasser gezogen zu werden.
Mein kleinerer Bruder erlebte den Fischfang einmal, auf den Schultern seines Onkels sitzend, an einem 2. Januar. Sechs Forellen wurden gefangen. Die dann von Grand’maman kreisförmig zum Abendessen serviert wurden.
Ich war etwas eifersüchtig auf Robi. Er konnte einmal beim Fischen mit seinem Onkel dabei sein. In einer der Sommerferien in Leuk wurde ich von diesen dunkeln Gedanken befreit. Paul und Raphael nahmen mich mit zum Fischfang in der Dala. Der Wildbach, der von Leukerbad her kam und sich in die Rhone ergoss. Wir wollten «von Hand» fischen. Mein Vater hatte mir einmal erklärt, wie das geht.
Stundenlang standen wir drei Buben im kalten Wasser der Deltamündung. Paul hatte schon zwei erwischt. Raphael hatte auch schon eine. Ich war immer noch ohne Beute. Viermal schon war der schnelle Schwimmer mir entwischt.
Wie hatte Papa doch gesagt? «Ganz ruhig bleiben. Ganz vorsichtig mit der linken Hand unter die Forelle, wenn sie sich bei einem grösseren Stein versteckt hält. Die rechte Hand, von weitem unter Wasser, langsam dem Maul nähern. Sachte, sachte. Dann! Blitzschnell zupacken.» Jetzt hatte auch ich eine Bachforelle gefangen.
Auf dem Nachhauseweg erwärmten sich unsere kalten Füsse allmählich. Das Gefühl kam zurück. Die Bilanz der Beute war für Paul, vier Stück und für Raphael drei Stück gut. Mit nur einem Fisch war auch ich zufrieden.
Grand’maman war nicht schlecht erstaunt, als ich ihr meine Forelle auf den Küchentisch legte. «Ein Fisch ist für unsere Familie leider zu wenig. Am besten Du bringst ihn zu Stephanie, unserer Magd. Sie wohnt allein und weiss, wie man mit solchen Geschenken umgeht.» Nicht gerade die Lobpreisung, die ich für meine Heldentat erwartet hatte.
Meine Enttäuschung war nicht zu übersehen. Die Forelle sollte auf den Tisch unserer Magd, statt auf dem Familientisch landen. So brachte ich die Forelle in die Kirchgasse zu Stephanie. Am Montag darauf erklärte sie mir, wie sie den Fisch sofort ausgeweidet und ihn dann zwei Tage in fliessendem Wasser aufbewahrt hatte. Am Sonntag hatte sie ihn gebraten. Er schmeckte ausgezeichnet. «Vielen Dank Hanschi, ich habe schon lange keinen so guten Fisch mehr gehabt. Das war, weil Du ihn für mich ohne Angel gefangen hast.»
Das war die erste Lektion in meinem Leben, wie ein Chef die Arbeit eines Angestellten würdigt. War das die Grundlage für meinen späteren Beruf?Damals wusste ich noch nicht, dass dieses Abenteuer mir später die klassische Musik von Franz Schubert näherbringen sollte.
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