Ferdinand, Freiherr von Werra – Kapitel 4

Freitagabend, nach dem Nachtessen im Esszimmer des Balethauses. Das Abendessengeschirr war abgeräumt. Das weisse Tuch lag noch auf dem Stuben- tisch. Die übliche Ordnung, wie es sich nach einem Nachtessen gehört, war noch nicht völlig hergestellt. Die beiden Frauen, Mama und die Köchin, beide sangen im Kirchenchor, mussten wie jeden Freitagabend in die Probe. Sie lies- sen Papa Alex und die beiden Buben am abgeräumten Tisch zurück. Nur die Kerzen brannten noch und der Kaffee war nicht entfernt. Den dreien war es recht, einen Abend zu haben, um als «Männer» unter sich zu sein. Ein Weil- chen sassen sie schweigend da. Jeder ging seinen Gedanken nach. Es war Alex, der die Stille unterbrach.

«Papa, Ferdi und ich möchten mit dir reden. Wir sind immer noch von unse- rem Ausflug und dem Besuch bei Cousin Oberst beeindruckt. Es hat uns gefal- len, zu erleben, wie richtige Adlige unserer Familie den Haushalt führen. Wir haben uns darüber unterhalten und uns gefragt, was zu unternehmen sei, dass auch wir in unserem Schloss in Agarn wohnen und leben könnten.»

Papa Alex schaute die beiden mit traurigen Augen an, kramte seine Pfeife aus der Tasche und zündete sie umständlicher als üblich an.

«Wir sind nicht in der Lage, standesgemäss zu leben. Es fehlt uns an allen Ecken. Allein schon den Balet-Haushalt zu schmeissen, bringt mich an den Rand des Ruins.»

Erschrocken schauten sich die Brüder an. Damit hatten sie nicht gerechnet.

«Das darf nicht die Wahrheit sein», dachte Ferdi, «es scheint, Papa hat jeg- lichen Mut verloren. Ich muss ihn umstimmen. Ihm Mut machen.

Papa! Mir hat es im Majorshof gefallen. Für mich ist Cousin Oberst ein Vor- bild. Wie der seine Latifundien in Ordnung hält. Alles stimmt. Ob Haus oder Garten oder Stallungen, alles ist sauber gepflegt, blitzblank in Ordnung. Solch einen Besitz sollten wir auch haben. Noch mehr hat mich auf dem Ausflug der miserable Zustand unseres Schlosses im Rottental beeindruckt. Was sage ich, beelendet. Da muss etwas geschehen. Wir dürfen das Anwesen der Familie nicht unbeaufsichtigt vermodern lassen.»

«Für dein Alter bist du recht keck, mein Lieber. Als ihr im Garten wart, habe ich dem Oberst mein Herz ausgeschüttet. Ich habe ihn um ein Darlehen ange- sucht. Das hat er ohne Begründung abgelehnt. Ich stand da wie ein armer Bett- ler. Ich schämte mich, als heruntergekommener Junker dazustehen. Wenn ich es jetzt überlege, heisst das, ohne dass es ausgesprochen wurde: selbst schuld, ihr habt die ganze Mitgift in Salgesch verprasst. Das war sehr erniedrigend. Am Schluss hat er mir ein Almosen angeboten. Sein Gutsverwalter im Tal wohne in der Nachbarschaft des Mageranschlosses. Er könnte stundenweise bei den Aufräumarbeiten helfen.»

«Das ist doch ein Lichtblick», nahm Alex den Faden des Hilfsangebots des Obersten wieder auf.

«Das Mageranschloss darf nicht verkümmern. Wir müssen einen Plan machen, wie wir aus der Misere herauskommen wollen. Ihn mit Oberst Werra bespre- chen und schauen, wieviel Hand er anzulegen bereit ist. Der Vorteil, so fliesst kein Geld. Es gibt keine zusätzlichen Schulden. Unsere Finanzen werden nicht noch mehr geschmälert. Wenn wir alle, die ganze Familie mit allen Onkeln und Tanten und dem ganzen Personal, Hand anlegen und hart arbeiten, könnte es gelingen.»

«Genau», rief Ferdinand. Er war von der Ansprache seines Bruders aufge- kratzt. «Wir müssen mit der Umgebung beginnen, dem Garten und den Wei- den. Diese könnten wir Cousin Obersts Vieh zum Grasen zur Verfügung stel- len. Dann müssen die Fenster und die Läden in Ordnung gebracht werden und auf allen Fenstersimsen Blumenkästen mit Geranien aufgestellt werden. Wenn das so weit ist, ist der Anblick der Verwahrlosung aus dem Weg geschafft.

Dann folgt die Putzaktion. Ich habe mir das genau ausgedacht. Das ganze be- wegliche Inventar, die Möbel, die Kästen, die Truhen müssen aus dem Haus transportiert werden. Vorläufig werden sie in der Remise und den leeren Stal- lungen gelagert. In dem nun leeren Haus wird alles geputzt, alle Spinnenweben entfernt, alle Böden geschrubbt. Immer alle Fenster und Türen offenhalten, damit der muffige Geruch ins Freie kann. Die festgestellten Schäden an Tü- ren, Fenstern und Böden werden repariert. Ist das Schloss wieder so weit, dass es sicher verschlossen werden kann, müssen im Personaltrakt für zwei bis vier Personen die Zimmer und die Toiletten in Ordnung gebracht werden. Dann müssen wir den Oberst dazu überreden, dass das Gutsverwalterehepaar dort dauerhaft wohnen könnte. Ein Haus ist nur brauchbar, wenn es ständig bewohnt wird.»

«Wenn das gelingt, ist das Gröbste überstanden», beendete Alex die Rede seines Bruders.

Tränen liefen über Papas Wangen und verloren sich in seinem Bart. Das unbekümmerte Engagement seiner Kinder hatte ihn gerührt. Die Jungen legten sich für das Schloss ins Zeug.

«Wann habt ihr zwei das alles ausgeheckt?» Dies war das Einzige, was der Vater zu sagen in der Lage war.

«Wir schlafen ja nicht in Einzelzimmern, wie es sich für Junker gehört», maulte Ferdinand.

Papa Alex hatte sich wieder gefasst. «Wir Werras sind sehr gut im Planen von Luftschlössern. Wenn der Plan Wirklichkeit werden soll, muss viel Vorarbeit geleistet werden. Wir werden mit allen Familienmitgliedern Einzelgespräche führen müssen, um sie zu motivieren, körperlich mitzukrampfen. Das braucht viel Überzeugungsarbeit. Niemand von denen macht sich wegen Arbeit gerne dreckige Hände. Beim Personal ist es einfach. Die haben zu tun, was wir sagen. Weiter sollten wir uns einen Plan über die zeitlichen Aktionen machen. Wann fangen wir an. Bis wann ist der Garten bepflanzt, sind die Weiden eingehagt und so weiter. Wenn soweit Klarheit herrscht, müssen wir daran denken, dass jemand die Arbeit leitet und überwacht, mit den Handwerkern verhandelt und alle die Kleinigkeiten im Blick hat, damit zügig, ohne allzu viele Hindernisse gearbeitet werden kann. Es braucht einen Chef.»

«Bravo, Papa, du hast angebissen. Ich werde alles zu Papier bringen und den Zeitplan und Mitarbeitereinsatz übersichtlich darstellen. Wir müssen etwas Überzeugendes zur Hand haben, wenn wir mit den Onkeln und Tanten und vor allem mit Cousin Oberst sprechen werden. Wir müssen überzeugen kön- nen, dass der Plan Hand und Fuss hat.» Alex nahm den letzten Schluck kalten Kaffees aus seiner Tasse.

«Und ich werde mir noch ein paar Gedanken über die Kosten machen. Allein mit Fronarbeit bringen wir das Werk nicht in Bewegung», ergänzte Ferdinand.

«Was verstehst du schon von Geld?»

«Lass mich nur machen.»

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