Kaum ist das Neue Jahr da, sind die Festivitäten abgeschlossen, die guten Vorsätze formuliert, packt mich die Lust, meinen Freundinnen welche zuverlässig meine Berichte lesen, einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen.
Immer und immer wieder werde ich gefragt: « Wie entstehen Deine Kolumnen? Wie kommst Du zu neuen Themen?». Natürlich entsteht die Sache im Kopf und begleitet mich Tag und Nacht. Besonders morgens im Bett, kurz vor dem Aufstehen, surren Ideen wie Irrlichter, chaotisch durch meinen Schädel. Dieser freiwillige Zwang, jeden Monat etwas auf meiner Website zu publizieren, verursacht einen sanften Druck. Wie ein Gespenst, das mich verfolgt hält er mich wach. Aufnahmebereit überall nach Begebenheiten Ausschau zu halten, die etwas hergeben könnten. Egal wo, meine Antennen sind stehts auf Empfang. Im Tram, im Zug, in der Stadt, im Restaurant auf einen Bekannten wartend und wie schon gesagt, sehr oft im Bett. Immer bin ich auf Pirsch und scanne mit offenen Ohren das Umfeld nach Stoffen, nach Ereignissen ab. Vieles, sehr vieles wird verworfen. Kommt mir nicht einmal mehr richtig zum Bewusstsein. Mit der Zeit hat sich in meinem Aufnahmesinn ein Filter eingerichtet. Er lässt nur ganz wenig durch. Dieser Überrest ist dann der Rohstoff für die weitere Arbeit.
Beim Einschlafen oder beim Aufwachen, in diesem Metazustand zwischen Traum und Realität, erinnere ich mich an eine Belanglosigkeit des Alltags. Einem Selbstläufer gleich, entwickelt sich der Gedanke zu einer wahren oder auch erfundenen Geschichte. Sie lässt mich nicht mehr los. Dann plötzlich heureka, ich hab’s. Das gibt etwas für den nächsten Monat her.
Gedanken
gehen so schnell verloren. Lösen sich auf wie der Rauch aus der Tabakpfeife. Verschwinden
auf Nimmerwiedersehen!
Spätestens jetzt ist straffe Disziplin gefragt. Wenn ich die wilden Gedanken in
meinem Hirn nicht sofort, augenblicklich, festhalte und bändige, sind sie fort
für immer. Früher, noch wenig erfahren, probierte ich mit «Ja nicht vergessen,
gelegentlich aufschreiben» meine undisziplinierte Faulheit zu überlisten. Das
geht so nicht. Jetzt blitzartig alles aufschreiben, ausführlich aufschreiben.
Stichworte und Notizbruchstücke genügen nicht. Entweder ich schreibe
ausführlich alles schnell und so vollständig wie möglich nieder oder alles löst
sich wieder in blaue Luft auf. Bei diesem ersten schriftlichen Festhalten geht
es noch nicht um korrekte Orthographie und schönen Stil. Der Inhalt muss
gebannt sein. Wie der Geist in der Flasche. Ausschmücken und schön scheiben
kann warten. Bloss nicht vergessen die Flasche zu verkorken, damit der Geist
nicht den Weg ins Freie, ins Nirwana findet.
Neben Disziplin spielt Organisation eine zweite, nicht unwichtige Rolle. In meinem Haushalt gibt es eine Allgegenwart von Notizpapier und Schreibstiften, Bleistiften, Farbstiften, Reklamekugelschreibern. Überall liegen diese Werkzeuge herum und sind immer sofort auffindbar. Die Gedanken kommen in den unerwartesten Situationen. Beim Suppenkochen, im Garten, beim Zähneputzen, beim Staubsaugen, beim arbeiten am PC, am Schreibtisch, in meiner besonders beliebten Leseecke. Überall liegen Schreibutensilien herum und warten geduldig darauf, in den unmöglichsten Konstellationen gebraucht zu werden. Unter der Dusche hängt eine kleine Schiefertafel mit einem Kreidestift. Unterwegs begleitet mich immer mein Notizbuch.
Von Hand werden die Gedanken – schon ziemlich druckreif – eiligst hingeschrieben.
Aus allen diesen Gedankensplittern – sie werden regelmässig ins Notizbuch übertragen – entwickelt sich ein Wachstumsprozess. Wie eine Tulpe aus der Zwiebel, spriesst eine Geschichte hervor. Die lässt mich nicht mehr los. Auf einmal finde ich die gesamte Disposition, logisch und klar, fein säuberlich lesbar, in meinem Notizbuch wieder. Nur fehlen noch der erste Satz und der letzte Satz. Ganz wichtig! Von diesen beiden Phrasen wird die Geschichte quasi eingerahmt. Sind erster und letzter Satz geboren, sitzen sie wirklich, bilden sie die Einfassung in dem der restliche Text, beinahe von allein, eingefügt wird. Wie bei einem Hefeteig lasse ich den Text ein paar Tagen liegen. Im übertragenden Sinn: Der Text muss aufgehen, reifen. Das geht bei der Schreiberei natürlich nicht von selbst. Jetzt kommt der Feinschliff. Wenn dieser nach einigen Tagen abgeschlossen ist, geht das Manuskript auf reisen. Nach Paris.
Dort nimmt mein Freund Hans Rhyn, ein begnadeterer Übersetzer, meinen Text in die Zange. Hans gehört nicht zu jenen Übersetzern, die Wort für Wort das Deutsche in die Sprache Voltaires transponieren. Ihm gelingt es die Stimmung, welche in der Kolumne liegt, zu erfassen und ins Französische zu übertragen. Das ist eine weitere anspruchsvolle, geistige Leistung. Das ist viel mehr als über-setzen. Es ist eine zweite redaktionelle Bearbeitung. Eine anspruchsvolle Verfeinerung des Ganzen. Diese Arbeit in Frankreich hat wieder Rückwirkungen auf meinen deutschen Text in der Schweiz. Auf meinen Urtext.
Bei der Bearbeitung des Manuskriptes in einem französischen, gallischen Hirn, kommen deutsche Ungereimtheiten klar und ungeschminkt an den Tag. Auf der Rückreise des französischen Textes nach Gossau, wird auch mein deutsches Geschreibsel mitgeliefert.
Sofort wird zuerst der französische Text gelesen, genossen. Stets bin ich überrascht, wie meine Gedanken aufs Schönste verpackt, in der französischen Version elegant gekleidet daherkommen. Kokett wie ein junges welsches Mädchen. Danach widme ich mich den Anregungen, Korrekturen und Hinweisen im deutschen Manuskript. Nachdem diese Unebenheiten ausgeglichen sind, liegen die Schriftstücke für die Publikation bereit. Die noch notwendige folgende Arbeit ist Routine. Kopieren auf die Webseite. Die Formatierung anpassen. Eventuelle erläuternde Bilder einfügen. Den Erscheinungstermin festlegen. Die Kolumne ist im Kasten.
Für mich der Moment eine Pfeife anzuzünden. Zufrieden ein Glas guten Roten zu geniessen. Gute Arbeit setzt gutes Teamwork voraus. So sieht es hinter den Kulissen einer Kolumnenproduktion aus.
Kulissenblick
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